Schwanger werden wollen kann so weh tun. Wenn es wieder und wieder nicht klappt, Monat für Monat und die Arbeitskollegin ihre Botschaft kundtut. Wenn die Freundin vielsagend lächelnd das Glas Sekt ablehnt: Was zur Hölle stimmt nicht mit mir? Und wenn man schon ein Kind hat mit der immer lauter werdenden Frage: Was zur Hölle ist passiert seit dem letzten Mal?
Die Gründe, warum es manchen Paaren schwerer fällt als anderen, sind so unterschiedlich wie die Paare selbst. Bisher (und das heißt besonders, bevor ich mit meinem Sohn schwanger wurde) ließ mich die Kinderwunschliteratur eher ratlos zurück. Zwischen „zu eso“ und „zu klinisch“ wollte ich lieber etwas Erbauliches, was mir aber auch Handlungsoptionen anbietet und nicht verschweigt, wie es weitergeht, wenn es auf natürlichem Wege einfach nicht klappt. Ich wollte mich nicht als Gebärmaschine besprochen lesen und ich wollte nicht einfach nur literweise Himbeertee trinken und meditieren.
Schwanger werden wollen hat ein paar Monate mit Aufregung zu tun, mit „Hibbeln“, dann mit zunehmender Frustration und irgendwann tatsächlich mit Angst
Den Spagat zwischen ganzheitlicher Betrachtung und fundiert medizinischer Einordnung schafft die Hebamme Kareen Dannhauer mit ihrem neuen Buch „Schwanger werden – Der ganzheitliche Weg zum Wunschkind.“ Es ist das Buch, dass ich vor drei Jahren schon gern gelesen hätte, als auch nach einem Jahr keine Regel ausblieb. Aber es kommt nicht zu spät, der Wunsch nach dem zweiten Kind ist ja da. Diesmal vertreibe ich mir aber die Zeit mit einem guten Buch (und maybe lass ich den Tee weg).
Ich schreibe aus der Perspektive einer Frau, die bereits ein Kind und drei Fehlgeburten erlebt hat. Deswegen lag mein Schwerpunkt beim Lesen klar auf dem Aspekt des Schwangerwerdens nach Fehlgeburten. Das Buch ist so gegliedert, dass selektives und ausgewähltes Lesen möglich sind. Ich muss zum Beispiel nicht so genau lesen, wenn es um das Verstehen des Zyklus geht und wie das mit den fruchtbaren und nicht fruchtbaren Tagen nun funktioniert (Team-NFP seit ich 22 bin), obwohl das ein spannendes Thema ist, nach wie vor. Ich habe in der Mitte angefangen zu lesen und hab mich dann kreuz und quer durchgearbeitet. Weil: der weibliche Körper ist so spannend! Und: für den männlichen Körper kann man auch etwas tun! Aber der Reihe nach:
Vom „Premester“ bis zu den gar nicht so geheimen Geheimnissen des weiblichen Zyklus
Das Buch richtet sich an alle, die gerade erst beschlossen haben, dass sie jetzt ein Kind wollen, an die, die schon lange daran basteln und an die, die schon sehr lange damit beschäftigt sind und knapp vor der Kinderwunschklinik stehen, aber doch nochmal nichts unversucht lassen wollen. Es steigt ein mit einem Kapitel, das einen Überblick über die wichtigsten Fakten rund ums Schwangerwerden liefert. Geleitet von der Frage „Wie geht das eigentlich“, gibt Kareen Dannhauer neben medizinischen Fakten auch ein bisschen classic Hebammenbalsam an die Hand:
„Wenn man versteht, wie komplex dieses Schwangerwerden ist oder sein kann, kann auch wieder Raum sein für Geduld – denn sie ist ein wichtiger Begleiter auf diesem Weg.“
Kareen Dannhauer
Das zieht sich durch das gesamte Buch: Sie beschönigt nichts, sie teilt die Fakten – holt aber auch die Kinderwunschlinge in ihrem Schmerz und ihren Ängsten ab. Sie macht das ganz und gar nicht gefühlsduselig, aber so, dass ich mich verstanden fühle. Und das tut unheimlich gut. Schulterklopfen und „Klappt schon noch“ brauche ich nicht.
Es geht weiter mit dem weiblichen Zyklus, welche Phasen der hat, dass er nicht genauso lange dauert wie im Biobuch steht und dass es sich wirklich lohnt, ihn zu beobachten. So rätselhaft, wie es einem manchmal vorkommt, ist so ein Zyklus nämlich nicht. Der Körper gibt deutliche Anzeichen über die einzelnen Phasen – man muss nur mal genau hinhören. Meine Rede, ich habe damit sogar schon verhütet. Dabei kommt nicht zu kurz: Welche Zyklusschwankungen gibt es und was kann man da machen?
Eizellen-Aha-Momente
Sehr spannend und aufschlussreich fand ich das Eizellenkapitel: Der Verlauf der Reifeteilung von Ei- und Samenzellen ist sehr störanfällig. Je älter wir werden, desto schlechter wird die Qualität, sodass bereits zum Zeitpunkt des Eisprungs eine Eizelle einfach „kaputt“ sein kann. So kommt es gar nicht erst zu einer Befruchtung. Die gute Nachricht: Es ist möglich, die Qualität zu verbessern! Allerdings dauert es seine 3 Monate, bis sich Veränderungen im Lebensstil auch auf die Qualität der Eizellen ausgewirkt haben. An welchen Schrauben man dazu drehen muss, erfährt man in diesem Kapitel ganz genau – mit den frischesten Erkenntnissen aus der Eizellenforschung.
Weiter geht es im dritten Kapitel mit der männlichen Fruchtbarkeit. Viele Ratschläge, die für Frauen gelten, gelten genauso für Männer. Weiter erklärt sie, wie das Thema Männer ebenso stressen kann wie Frauen, wie Spermienqualität gemessen werden kann und was die Spermien „schrottet“.
Was Eizellen und Spermien zuträglich ist …
… erfährt man sehr ausführlich in den beiden Kapiteln „Ernährung & Vitalstoffe“ und „Modernes Leben“. Irgendwie weiß man ja, das langkettige Kohlenhydrate besser sind. Aber dass das auch Auswirkungen auf die Fertilitäts-Fitness hat – eigentlich nicht überraschend. Gesunde Ernährung, die enorm tollen Auswirkungen von Omega 3 Fettsäuren, genug Schlaf und weniger Arbeiten. Alles auf jeden Fall löblich, aber gut, dass Dannhauer Hinweise auf die richtige Anwendung und Auswahl guter Nahrungsergänzungsmittel gibt.
Außerdem: Wie gelangen hormonelle Störfaktoren in unseren Körper? Welche Auswirkungen hat die Pille? Hier ermuntert Dannhauer auch dazu, sich auf eine Schwangerschaft wie in einem Ritual vorzubereiten – was ich persönlich eine sehr schöne Idee finde. Sich mental umzustimmen auf diese Übergangsphase kann sich bestimmt sehr heilsam anfühlen. So kann man sich ein Detoxen ein bisschen schöner reden, wenn man das Yin und das Yan mit einer Darmsanierung in Einklang bringt 😉
Der Punkt über Übergewicht und Insulinresistenz hatte mich hellhörig werden lassen. Ich hatte am Anfang meiner letzten Schwangerschaft meinen HOMA-Index messen lassen, um eine mögliche Insulinresistenz zu erkennen. Das ist aussagekräftiger, als der Test um die 24. Woche herum und sinnvoller, weil ich damit schon vor eingetretenen Schwangerschaftsdiabetes handeln kann. Insulinresistenz ist nicht unumkehrbar! Das beschreibt Dannhauer dann auch an der Stelle. Bei mir wurde jedenfalls ein Wert von 3,6 festgestellt, was eine Insulinresistenz sehr wahrscheinlich macht (und ich bin nicht übergewichtig, so much for the Vorurteil). Drei Wochen später dann das Aus der Schwangerschaft. Ein möglicher Grund? Soviel weiß man dann auch wieder nicht.
Was kann und weiß die Medizin
Wie schon zu Beginn erwähnt war dieses Kapitel das, das ich zuerst gelesen habe. Neben Erkranungen wie PCOS, Autoimmunerkrankungen und Diabetes wird hier das Thema Fehlgeburten und Schwangerwerden nach Risikoschwangerschaften genau betrachtet. Und das ist ein riesen Glück. Denn so unerklärlich die meisten Fehlgeburten sind, es gibt doch Erkenntnisse und Hinweise, die mich nicht handlungsunfähig hinterlassen. Den Eindruck hatte ich bisher immer bei allem, was ich dazu las. Chromosomale Störungen – die ja bereits im Eizellenkapitel Erwähnung finden – sind zum Beispiel mögliche Gründe für Fehlgeburten. Und die Fehler entstehen eben in den drei Monaten vor einem Eisprung. Es ist also langfristig eine wirklich gute Sache, sein Leben umzustellen.
Habituelle Aborte, Gerinnungsstörungen, immunologische Faktoren und frühe Manifestationen von Gestosen sind weitere mögliche Gründe. Die Fehlgeburt an sich wird genau beschrieben und auch das ist ein Segen. Und mit genau meine ich: Endlich erfährt man den genauen Ablauf einer Fehlgeburt, wenn sie zuhause und ohne Ausschabung stattfindet. Und natürlich erfährt man hier, dass man da auch Anspruch auf Hebammenhilfe hat! Halleluja!
Was ich mir zum Schluss nicht verkneifen kann und nichts mit den eigentlichen Inhalten des Buches zu tun hat
Die Autorin stellt bereits im Vorwort klar, dass es den biologischen Archetypen (Eizellen und Spermien, Frau und Mann) geschuldet sei, dass die Ansprache ein sehr heteronormatives Bild abgebe. Das spiegele nicht die Lebenswelt einiger Leser*innen (egal welcher Geschlechteridentifikation). Das entspreche auch nicht dem Bild von „Familie“ der Autorin – aber schlussendlich um des guten Leseflusses willen sei es „kaum besser möglich gewesen.“ Nun gut. Ich finde es sehr gut, dass dieser Disclaimer Eingang gefunden hat, es ist also ein Bewusstsein für viele Kinderwunschrealitäten da. Aber ich finde den Hinweis auf den „Lesefluss“ immer etwas einfach.
Mag sein, dass der Verlag da reingewurstet hat. Mag aber auch sein, dass sich der Umstand anders hätte lösen können, wäre nicht die Ansprache im kompletten Buch immer bei „Du“ (womit immer die Person mit den Eierstöcken gemeint ist). Eine gewisse Eierstock-zentrierung will ich einer Hebamme gar nicht in Abrede stellen. Aber: Klar schafft eine persönliche Ansprache Vertrauen und eine gewisse Nähe. Und das mit einem sehr einfachen Mittel (Hi, na, wie geht es dir? Spürst du, wie ich dich anspreche? Fühlst du mein Hauchen in deinem Ohr?). Ein guter Stil – und ich finde sprachlich ist das ein sehr gelungenes Sachbuch – funktioniert sicher auch ohne „Du“ – und dann hätten eben doch alle Menschen aller Geschlechteridentifikation sprachlich Eingang finden können. Just saying.
Davon abgesehen: Das ist das hilfreichste Buch, das mir bisher in die Hände gekommen ist zu dem Thema
Und ich meine das ernst: Ich fühle mich geradezu edutained. Kareen Dannhauer trägt neue Forschungserkenntnisse zusammen, beschriebt Altbekanntes auf unterhaltsame Weise und schafft es einem nicht-medizinisch gebildeten Publikum komplexe Zusammenhänge zu veranschaulichen. Dabei gibt sie zu jeder Lebenslage Tipps für die passenden Homöopathischen Mittel (praktisch, wenn man dem zugeneigt ist) und kennt Kräuter und Naturheilverfahren, die in den jeweiligen Situationen unterstützen können. Dazu fühle ich mich an keiner Stelle belehrt oder nicht ernst genommen. Eben niemals auf, sondern irgendwie tatsächlich in den Arm genommen.
„Schwanger werden. Der ganzheitliche Weg zum Wunschkind. Von Kareen Dannhauer, erschienen im Köselverlag im Mai 2020. Kostet 18 Eurogeld und kauft es euch in der Buchhandlung eures Vertrauens.
Spannend! Ich bin jetzt total neugierig auf das Buch, obwohl wir noch nicht am dritten Kind basteln.
Ich empfehle deinen Artikel gern mal einer Freundin weiter, die das bestimmt gebrauchen kann.