„Und, wie geht es für dich weiter nach der Elternzeit?“ – fragt niemand.* Beim Lesen alter Tagebucheinträge aus dem ersten Babyjahr mit meinem Sohn fiel mir auf, wie sich zwar etwa 90% meiner Gedanken um die Zeit „danach“ drehten (ich hatte ja keinen Job, in den ich klassischerweise zurückkehren würde), aber in Gesprächen mit bisher kinderlosen Freund*innen genau dieses für mich tatsächlich wichtigste Thema gar nicht auftauchte.
In einem alten Tagebuch Eintrag heißt es zum Beispiel ganz zum Schluss:
„Davon konnte ich den allen dreien, die da waren, gar nichts erzählen. Nicht schlimm, aber ich hatte auch gehofft, was von mir zu erzählen, aber es gab keinen Aufhänger und gefragt hat keiner, was ich jetzt so mache, wenn die Elternzeit vorbei ist.“
Es gibt Pläne, die ich tatsächlich sehr für mich behalte, weil sie mir ein bisschen heilig sind und ich es nicht jinxen möchte, indem ich zu viel davon spreche. Ich würde aber gerne darüber reden, ich müsste nur mal explizit gefragt werden. Seltsame Sache, wer weiß welches Innere Kind mich da zurückhält. (Selbst unter der Geburt vom zweiten Söhnchen gab es so eine Situation. Ich wehte schon echt deutlich vor mich hin und die Hebamme fragte: Wie sieht es aus mit Wanne? – Ich war unschlüssig. Eigentlich ja, eigentlich nein, schon wieder eine Wehe, lasst mich alle in Ruhe, ich will jetzt nichts entscheiden. Sie sagte: Du willst ein bisschen überredet werden, oder? Und dann zog ich mich einfach aus und stieg ein. Und es war so gut!)
Anekdote zuende.
Ich möchte also gefragt werden: Miriam, wie geht es denn nun für dich weiter, nach der Elternzeit? Und dann würde ich antworten: Ach, schön, dass du fragst! Ich habe schon keine Elternzeit mehr und das nervt mich wesentlich doller, als gedacht. Es belastet mich gerade sogar, und zwar aus ganz vielen Gründen, die darüber hinaus gehen, dass es übelst schwer ist, mit Säugling Teilzeit zu arbeiten. Ich habe nämlich eigentlich noch viel arbeitsamere Pläne! Und das ergibt alles für mich einerseits viel und andererseits wenig Sinn, je nach Standpunkt. Kompliziert? Ach was!
Tja, aber das Fass will ich dann doch nicht aufmachen.
Ich kann mir nämlich für jede meiner Überlegungen eine andere Art von erhobener Augenbraue vorstellen. Die „Du hast es dir ja so ausgesucht-Braue“, die „genieß lieber diese Zeit, sie ist so kostbar-Braue“, die „also ICH würde mir das nicht-zutrauen-Braue“ oder auch die „ein Baby gehört zur Mama-Braue“. Und das sind Augenbrauen, die kinderlosen und kinderreichen Gesprächspartner*innen zuzuordnen sind.
Also bleibt es bei: Und, Miriam, wie geht es euch? Und ich sage: Ja, gut, eigentlich. Eigentlich ist alles ganz gut. Die Nächte, ja, ok, auch besser als gedacht, aber ja, klar, so ist das nun mal. Bin froh über unser Familienbett, ehrlich.
Es ist so, dass ich tatsächlich ein bisschen zu müde bin, gleich zum Punkt zu kommen. Und mit manchen Freund*innen müssen auch erst mal andere Themen nachgeholt werden, weil wir uns pandemisch bedingt länger nicht gesehen und gesprochen haben. Viele haben einfach mehr mit sich selbst zu tun, weil das letzte Jahr für die meisten unfassbar anstrengend war.
Aber dennoch und auch ohne pandemiebedingter Themenverschiebung: Gehen die Leute vielleicht auch einfach davon aus, dass es für eine Mutter im ersten Babyjahr nur dieses eine Thema gibt, nämlich Muttersein? Wie schnell wird eine Frau auf diese Rolle so einseitig festgenagelt? Wie oft hab ich schon gehört: Seitdem sie ein Kind hat, dreht sich alles nur noch darum. Ja, naja, wer nicht fragt, der nicht gewinnt – an Einblicken, Plänen, Gedanken die um mehr kreisen als Breifrei oder Beikost, aber auch um mehr als das beste Katerfrühstück.
Selbst innerhalb der Muttibubble (nicht nur in sozialen Medien) finde ich dieses Vorurteil immer wieder. Da heißt es dann: Nee, Babykurse habe ich nicht gemacht, alles gleich wieder abgebrochen. Die hatten da immer nur diese typischen Babythemen, alles dreht sich nur um die kleinen Mäuselchen und eh, die mit ihren Wickeltaschen.
Gut, ich habe andere Erfahrungen gemacht. Ich habe ein paar solcher Kurse bis zum Schluss durchgezogen gemacht. Und habe dort viele Frauen kennengelernt, deren Themen natürlich auch geprägt waren von Stoffwindelsystemen und Abpumpen, Stillhütchen und wiedervendbaren Quetschitüten. Das ist einfach Teil des Alltags und der wird eben besprochen und zwar sehr gerne mit anderen Müttern, weil das Themen sind, die in der Regel kinderlose Freund*innen erst recht nicht interessieren.
Das sind alles keine Frauen, die ihre Persönlichkeit an der Kreißsaaltür abgegeben haben. Selbst dann nicht, wenn sie seitdem ihre Wickeltasche überall hin mitnehmen. Natürlich stecken hinter den oberflächlichen Themen Geschichten, man muss doch nur mal hinhören, richtig zuhören! Und irgendwann kommt man ans Eingemachte. Es ist so: Genauso wenig, wie ich bei der Kneipentour in der Erstiwoche ganz sicher mit allen Menschen im Café Köppen befreundet sein wollte, will ich es mit allen Frauen aus dem Geburtsvorbereitungskurs sein. Aber niemand sagt über die Einführungswochen an der Uni: Boah nee da sind ja nur so Studis, die keine anderen Themen mehr haben außer studieren. Boring.
Aber ein Babymassagekurs muss plötzlich Auflagen erfüllen, die kein stinknormales Weiterbildungswochenende erfüllen muss, personality-wise
Beginnt da auch schon Momshaming? Dass da über Frauen gelästert wird, die im ersten Smalltalk vor allem über Premilch reden und nicht über die geplanten Schritte zum Wiedereinstieg? Mutterschaft ist nunmal der kleinste gemeinsame Nenner. Seltsam finde ich, dass viele eine Mutter auch Monate nach dem Wochenbett noch immer auf diese Rolle zu reduzieren scheinen, während sie sich kaum dafür interessieren, was da eigentlich noch im Kopf passiert. Denn nach ein bisschen Alltagsauskotz gibt es einen Haufen Themen, die beackert werden wollen: Berufliche Pläne, die Wahlen im September, soziale Ungleichheit, Vereinbarkeit und, ja warum nicht: Rente.
Mag ja auch sein, dass diese Themen durch Elternschaft eine zusätzliche sozialpolitische Facette angenommen haben, die einen mehr oder weniger gut situierten Single Mitte 30 einfach nicht betrifft. Doch es gibt weiterhin so viele Themen, die uns alle einen können:
Angst, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Den Mental Load gibt es in Partnerschaften auch ohne Kinder, believe it or not. Das Gefühl, zwischen burn- und boreout können Overachiever genauso kennen wie Stay-(Vorerst)-At-Home-Moms & Dads.
Und dann ist mir noch aufgefallen: Ich bin ja selbst nicht besser.
Es handelt sich um eine ungerechte Vorwegnahme, wenn ich nicht von mir aus mit den eigentlich wichtigen Themen anfange
Ich denke: interessiert die doch eh nicht. Oder: Was könnten die nur von mir denken? Damit wäre das Problem hausgemacht und ist vielleicht gar keines – jedenfalls nicht in meinem Umfeld, das ich für sehr aufgeklärt halte. Ich denke nur selbst, dass ich eine ziemlich schlechte Mutter bin, jeden Tag aus einem anderen Grund.
Ich bekam heute eine Nachricht von einer weniger engen Freundin. Es ging um ein konkretes Thema und erst später fragte sie: Wie geht es euch? Ich habe gezögert zu antworten, denn ernsthaft, ich wollte direkt antworten, wie die Nächte so sind. Dabei hat sie das gar nicht gefragt! Es ist wohl das „euch“ in der Frage, die mich ein bisschen ausschließt – es geht um die Gesamtsituation als Familie, nicht um meine persönlichen Belange. Nehme ich den Raum nun aktiv wieder ein, indem ich antworte, wie es explizit mir geht? Oder bleibe ich so allgemein, wie die Frage gestellt ist? Denn auch wenn ich es schön finde, in einem ganz gut funktionierenden WIR zu leben, verschwinde ich ein bisschen mit der Mutterrolle.
Also habe ich allgemein geantwortet (uns geht es gut) UND den Raum eingenommen (ich arbeite schon wieder). Es erschien mir als der ehrlichste Kompromiss.
Eine andere Freundin, beruflich erfolgreich, mit dem ersten Kind schwanger, erzählte mir neulich von Kunden, die sich nicht zu schade waren, in einem Workshop über Frauen zu lästern, die auf After-Work-Veranstaltungen gehen, anstatt sich in der Zeit um ihre Kinder zu kümmern. Zoom sei Dank konnten die Herren nichts von ihrem Bauch sehen, ihre gedanklich dauerhaft bis zum Anschlag erhobene Augenbraue mussten sie dennoch gespürt haben. Aber egal, ob schwanger oder nicht, ist das nicht eine Frechheit? Was erlauben die sich darüber zu urteilen, wo eine Frau ab 20 Uhr zu sein hat?
Diese kleinen Momente sind prägend und blöderweise hat irgendwie jede*r eine Mutter und dementsprechend hat jede*r eine Meinung dazu, wie die so zu sein hat. Obwohl die wenigsten meiner Freund*innen das so über sich sagen würden, sind diese Meinungen tief verankert. Bei mir selbst auch und auch mir selbst gegenüber. Vielleicht fühlt sich meine Situation deswegen gerade so falsch an. Noch bin ich damit beschäftigt, herauszufinden, wie wir nun die Wünsche und Bedürfnisse von mittlerweile vier Personen und einer Katze austarieren, da muss ich schon wieder meine Excel-Tabellen raussuchen und anfangen zu rechnen: Wieviel Arbeit muss, wieviel könnte, wieviel darf noch sein und wenn, für wie lange? Oder geht es auch ganz anders? Oder kann ich vielleicht doch alle Pläne umwerfen und nochmal ganz anders anfangen?
Egal, wie ich mich entscheiden werde, für viel, wenig oder gar keine Arbeit mehr (ever, anyone?) eins weiß ich ganz sicher: Es werden mich immer genug hochgezogene Augenbrauen begleiten, gedachte und gesehene.
*fragen alle, sobald ein gewisses Zeitfenster überschritten wurde. Und wehe, dann kommt die falsche Antwort. Dann hagelt es Augenbrauen.