Uach, es ist so eklich.
Ich habe diese mittlemäßige Netflixserie gebinget und jetzt habe ich diesen pathetischen Tonfall in meinem Kopf übernommen. Alles, jedes bisschen, fühlt sich gerade an wie ein Drama. Wenn ich nicht aufpasse, fange ich an, Wörter zu verwenden wie „Authentizität“ oder „Inspiration“. Würde Marcus jetzt in meiner Pause reinkommen, damit ich mal fix stille, würde sich das anfühlen wie Verrat. Vorhin haben wir das große Kind zum Tagespapa gebracht und er wollte nicht wie wir. Ich schlug einen Kompromiss vor, Marcus war nicht einverstanden, pampt mich an und ich fühle: Agonie.
Von allen Gefühlen, die eine moderne Mutter so haben kann ist Scham eines, das kürzlich oft im Zusammenhang mit Momshaming diskutiert wurde. Ich nehme einfach mal an, dass die einen Moms die anderen Moms vor allem deshalb gerne shamen, damit sie sich selbst weniger schämen müssen.
Ich persönlich schäme mich dafür, dass ich meinen Kindern nicht das bieten kann, von dem ich immer dachte, dass es zu einer erfüllten Kindheit dazugehört: ein Haus mit Garten. Vor etwas weniger als einem Jahr habe ich schon einmal in ähnlicher Weise darüber nachgedacht, ob uns eine Stadtflucht helfen könnte, ein zufriedeneres Leben zu führen. In einer Bullerbüversion meiner Happy-Family-Fantasien öffnen wir einfach die Terassentüren und die Kinder hüpfen glücklich in den Klee.
Das macht, dass ich neidisch bin auf alle, die das ihren Kindern bieten können. Gleichzeitig bin ich nicht missgünstig. Mein küchentischpsychologischer Schluss ist nämlich, dass Missgunst das ist, was eine Frau dann den Akt des Shamens vollziehen lässt und diese Frau bin ich nicht. Ich freue mich, dass wir genügend Gärten haben, die wir besuchen können und ich möchte auch, dass das so bleibt. Und: Wir haben den Besitz von Wohneigentum für uns ausgeschlossen, aus verschiedenen Gründen. Einer davon ist sicher, dass wir nicht das nötige Spielgeld haben und ein anderer ist, dass ich nicht an das Argument der „Investition fürs Leben“ glaube.
Ich bin trotzdem neidisch!
Weil ich die Vorstellung vom Nest einfach sehr behaglich finde. Unsere Wohnung ist nämlich kein Nest, wir haben nicht einmal einen annehmbaren Innenhof. Ich gebe echt mein Bestes, die Wohnung behaglicher zu machen, aber es klappt nicht. Zum einen, weil ich sicher nicht die Interior-Designerin schlechthin bin und zum anderen, weil wir so dermaßen hässliche Türen haben.
Mit Holzoptik, sagen wir ruhig: „aufgepeppte“ plastikfurnierte Pressspahntüren, die es für 29 Euro in jedem Baumarkt gibt, killt man die Vibes in wirklich j e d e r Wohnung, so auch in unserer. Die in Kombination mit dem Billo-Laminat töten mich jeden Morgen, an dem ich aufstehe und den Schimmel-Mief unserer Rattenbude versuche zu ignorieren.
Netflix-Pathos got me again, sorri.
Not sorry. Wir haben wirklich Ratten.
An dieser Stelle frage ich mich, ob ich jetzt das Patriarchat dafür verantwortlich machen kann (am Ende kann ich das immer), aber ich habe keine Lust. Schäme ich mich aber dafür, dass meine Kinder (soweit ich das im Plural so beurteilen kann, aber ja, doch, das kleine Kind lacht schon ganz oft) in diesem Loch recht zufrieden wirken? Das tue ich ganz sicher nicht. Ich wäre auch keine glücklichere Mutter, wenn ich mehr Dinge besitzen würde. Und an dieser Stelle frage ich mich, ob ich den Mental Load nicht wieder mal bemühen sollte? Das wäre eine Erklärung für diese Unzufriedenheit meiner Gefühlswelt. Aber naja, wir arbeiten dran und es ist eine never ending story und ich bin froh, dass dieses Kind einen Namen hat aber nee, grad läuft es für diesen Haken zu gut. Ein Nest haben bedeutet für mich nicht einfach nur Besitz. Ich setze das gleich mit weniger Sorgen.
Irgendjemand in mir drin denkt: Wer ein Haus hat, hat keine Sorgen.
Warum? Ich kenne niemanden mit Wohneigentum, der sorgenfrei ist! Irgendwas ist immer (Arbeitslosigkeit, schwere Krankheit, ganz viel Streit, schreckliche Nachbarn, Heizung kaputt und kein Vermieter, dem man mit Mietminderung drohen kann). Ich bin in einem Haus mit Garten aufgewachsen und das war sehr schön. Es gab Kinderzimmer (wir haben in unserem Loch nicht mal Platz für das) und es gab eine Schaukel und ein Klettergerüst und im Sommer ein Planschbecken. Meine Eltern pflanzten auf die Plazenten meiner Schwestern und von mir Bäume, die sind mittlerweile echt groß (1 Eiche, 1 Ahorn, 1 Buche so you can imagine, dass der Garten groß war). Es gab trotzdem Sorgen.
Die Plazenten meiner Söhne liegen bei uns im Tiefkühler, wahrscheinlich forever. Vielleicht nehme ich sie einfach mit ins Grab. Von allen Dingen, die man so spirituell angehaucht mit einer Plazenta machen kann, wäre das vielleicht d i e Idee: Ich möchte mit den Plazenten meiner Kinder begraben (wahrscheinlicher: verbrannt) werden.
Okay: jetzt habe ich geklärt, dass der Grund für diesen Neid nicht im vermeintlichen Fehlen von Sorgen liegen kann. Der einzige Grund, der bleibt, ist die Existenz unserer Türen. Also sollten wir einfach umziehen. Einfach? In Leipzig? Mit ohne festen Gehältern? Tja und da ist der Pfeffer und da ist der Hase: Peng, peng! Mein Problem ist nicht Haus: ja oder Haus: nein sondern simpel nur die Tatsache, dass wir, was das angeht, überhaupt gar keine Wahl haben. Und zwar solange, bis ich wieder Vollzeit arbeite.
Existenzsicherung, finanzielle Stabilität, das gute Gefühl, dass eine Klassenfahrt uns mal nicht das Genick brechen wird
Ein Auto, dessen Reparatur gleich gemacht werden kann und nicht erst, wenn ein kleines Wunder um die Ecke lunzt – das lastet allein auf meinen Schultern. Denn ich muss nicht auf Stipendien warten, die sich nicht für Künstler*innen mit Kindern interessieren. Weil ich was kann, was Marcus nicht kann: labern.
Mir ist eine gute Ausbildung und Wahlfreiheit für meine Kinder wichtig. Aber damit wir ihnen das bieten können, müssen wir arg aufpassen, nicht im falschen Viertel zu wohnen, denn das wirkt sich auf die Schulen aus, auf die Schufa und auf Scham. Und damit wir diese Scham nicht schämen müssen, muss ich mehr arbeiten und was anderes arbeiten als das was ich eigentlich will und diese Verantwortung lastet auf meinen Schultern zusammen mit dem ungewischten Fußboden und dem Kitaplatz, den wir nicht finden. Also doch: Mental Load. Und Mental Health. Und Money-Mindset (kleiner Lachanfall). Soweit ich das bisher aber im privaten Umfeld beurteilen kann, sehe ich diese Themen überall. Ein Haus macht nichts aus. Es bietet nicht zwangsläufig Sicherheit und Stabilität, eine gute Beziehung braucht kein Haus um besser zu werden und ein Haus wird einer bröckelnden Beziehung nicht nachträglich ein Fundament gießen.
Zuletzt: Ich will mich nicht krumm und dusselig arbeiten in einem Job, den ich hasse, um ein Haus abzubezahlen, das ich okay finde (weil es hässliche Türen hat, die zu ersetzen zu umständlich und teuer ist) und das alles, weil ich denke, das Haus gehört nunmal dazu, so als Nest, irgendwie. Neben all dem hustle – noch mehr Verpflichtungen brauche ich nicht.
Das Problem fehlenden Wohneigentums ist also gar keins. Es bleibt nur das Gefühl, meinen Kindern nichts bieten zu können. Das ist aber vielleicht einfach nur unfair mir selbst gegenüber. Unseren Kindern geht es gut. Wir haben zwar kein Kinderzimmer in der Wohnung, aber ein Piklerdreieck im Arbeits-Esszimmer stehen. Ich sollte aufhören damit, mich selbst zu momshamen. Dann kommt das Glück vielleicht von ganz allein.
Hey, ich kenne Eure Finanzen ja nicht, aber manchmal hilft es auch sich vor Augen zu halten dass es durchaus funktionieren kann, die Miete die man zahlt in einen Kredit zu stecken. Die Summen für Häuser klingen oft utopisch und unerreichbar, aber wenn man sich das ernsthaft mal durchrechnen lässt, kann es (!) vielleicht auch klappen, abhängig von Stadt und Gehalt natürlich.