„Der schönste Tag im Leben einer Frau“ – Na? Wer weiß es? Natürlich läuten da sofort die assoziierten Hochzeitsglocken. Genauso klischeebehaftet ist eine Schwangerschaft. Ich dachte immer, das sei mir egal, weil ich das 1. weiß und mich 2. von sowas nicht beeindrucken lasse. Dachte ich. Bis zu dem Punkt an dem ich merkte, dass ich es nicht schaffe: meine Schwangerschaft zu genießen.
Warum ist mir das so wichtig?
Guter Hoffnung zu sein nämlich ist der Zustand, in dem wir uns alle befinden sollten (ich setze an dieser Stelle eine gewollte Schwangerschaft voraus). Es macht Sinn, sich nicht von Anfang an von Sorgen zerfressen zu lassen, an das Kleine im Bauch mit Liebe und Vorfreude zu denken und sich ganz wonnig zu fühlen. Ein bisschen mit Respekt vor der Geburt, klar. Aber eben vor allem und das immer und bei jeder Schwangerschaft: zuversichtlich. Denn Angst, so suggeriert das Beharren auf der „guten Hoffnung“, kann sich zur selbst erfüllenden Prophezeiung entwickeln. In diese Argumentation reiht sich auch die große Versprechung des Hypnobirthing ein: Wer ohne Angst in die Geburt geht, hat auch keine Schmerzen. Oder zumindest hat diejenige dann viel weniger Schmerzen.
Wo kommt das also her, dass ich mich (again!) wegen eines Gefühls unzulänglich fühle?
Wir haben ja leider das Patriarchat noch nicht zerschmettert, deswegen wage ich mal zu behaupten, dass es wieder mal typisch ist, dass ich mich als Frau schuldig fühle für etwas, wofür es keinen echten Grund gibt. Ich fühle mich schuldig, weil ich es nicht schaffe, mich guter Hoffnung zu fühlen. Und zwar jenseits der 12. Woche. Denn sollte ich als Frau mit Uterus nicht einfach nur dankbar und glücklich sein, dass mein Körper in der Lage ist, Leben zu schaffen? Mich in meiner Rolle sauwohl fühlen? Ich laufe Gefahr, das heilige Mutterideal anzukratzen und das noch etwa fünf Monate entfernt von der Möglichkeit meine erneute motherhood zu regretten.
Ich nehme mir vor, mich von überflogenen Instagramcaptions oder kompletten Zeitungsartikeln nicht verrückt machen zu lassen. Aber die eine oder andere krasse Idee bleibt haften, auch wenn ich sie rational sehr wohl einzuschätzen weiß. Trotzdem, der Elefant steht im Raum. Wie zum Beispiel bei der Theorie, dass negative Gedanken in der Schwangerschaft direkt ein Trauma beim Kind verursachen. Das ist keine Übertreibung, das gibt es wirklich, zum Beispiel verbreitet durch den umstrittenen Psychotherapeuten Franz Ruppert.
Konfrontiert werden wir von dieser und anderen Ideen tagtäglich – ob im Stilltreff oder in den Sozialen Medien
Zu den rein körperbezogenen Ängsten kommen also Ängste, eine schlechte Mutter zu sein, einfach, weil Zweifel und Ängste aufkommen. Und ich suche die Schuld bei mir. Macht keinen Sinn? Tja, so ist das in einem Hirn, das zu Depressionen neigt. Schuld bin immer ich. Auch wenn es nicht einmal einen Anlass gibt, das ist einfacher als zu akzeptieren, dass manche Dinge einfach nur sind. Wahrscheinlich muss man aber nicht einmal zu Depressionen neigen, es gilt: je öfter etwas thematisiert wird, desto mehr wird es zum eignen Gedanken.
To be very clear:
Warum solche Informationen außerdem problematisch sind und wieso wir immer die Quellen von polarisierenden Informationen prüfen müssen, fasst Anne Dittmann anschaulich zusammen. Sie zeigt auf, dass besonders Rechtsradikale oft Ideen wie die von Ruppert ausnutzen. Das umfasst im Grunde das ganze „nur eine Mutter ist die einzig wichtige Bindungsperson für ein Kind“-Thema. Und warum das kein Angriff auf die BO-Szene per se ist, aber warum die nun mal einen guten Nährboden für rechtsradikale Ideologie darstellt, erklärt Nora Imlau in ihrem Blog sehr gut.
Gemessen an den Unmengen an Posts und Artikeln, die es auf Social Media darüber zu finden gibt, dass es voll okay ist, nicht den „glow“ zu spüren, bin ich nicht alleine mit meinen Zweifeln. Wir setzen uns unter Druck, alle gemeinsam. Selbst, wenn ich – glücklich schwanger und total strahlend – einen Beitrag darüber lese, dass eine schwangere Frau sich eben nicht immer toll fühlt, sondern Hämorrhoiden hat, denke ich automatisch: Tja, du lebst vielleicht auch einfach nicht den richtigen Mindset (würg, Kotzwort der Jahre 2017-20 so far) und solltest vielleicht einfach weniger arbeiten und dich mehr auf die Schwangerschaft einlassen.
Ich! Denke sowas! Das ist doch scheiße von mir.
Und zeigt nur, dass ich genauso darin gefangen bin und mir nichts, dir nichts, selbst den Druck erstelle. Denn diese Schwangerschaft ist bisher nicht angenehm und ich bin von Sorgen zerfressen. Ich verstehe ja, dass es wichtig ist, den Mut nicht zu verlieren und stark zu sein. Die Psyche ist aber so individuell und jedem Menschen tun andere Dinge gut.
Ich glaube nicht, dass es richtig ist zu sagen: Alle schwangeren Menschen sollten sich einfach den richtigen Mindset zulegen, damit sie auch ja eine super Schwangerschaft haben werden und eine tolle Geburt. Genauso wenig glaube ich daran, dass es jedem sehr kranken Menschen hilft, wenn er von allen Seiten immer wieder hört, dass es nur eine Frage der inneren Einstellung sei, ob er die Krankheit besiegt oder nicht. Das erzeugt Schuldgefühle, sobald sich – trotz ganz, ganz viel positiver Gedanken – kein Therapieerfolg einstellt, das Beatmungsgerät wieder angeht, der nächste Kranknehausaufenthalt ansteht oder die nächste Chemo beginnt.
Vielleicht ist der Vergleich mit einer schweren Krankheit zu drastisch – immerhin ist eine Schwangere offiziell nicht krank. Es bleibt dennoch der fade Beigeschmack erfolglosen neoliberalistischem Glückschmiedens, wenn sich die gute Laune nicht einstellt. Totz Hypnobirthingkurses, trotz Schwangerenyoga, trotz Duftöl und perfekt ausgewählter „Anker“, trotz Schwangerenschwimmkurs. Jetzt habe ich doch bereits so viel Geld ausgegeben, warum stellt sich das nicht ein, dass ich die Schwangerschaft genieße?
Ich bin noch nicht soweit, ich will noch ein bisschen Angst haben
Es braucht einfach Zeit, sich vom Schock zu erholen. Eine überregel-starke Blutung am Anfang des zweiten Trimesters, gefolgt von einem überregel-langem Krankenhausaufenthalt: Das ist kein schöner Start ins zweite Trimester. Die Zeit einer Schwangerschaft, die landläufig als die gilt, in der sich alle schwangeren Personen pudelwohl fühlen. Und fit. Total fit. Ich möchte mich nicht dazu gezwungen fühlen, mich so zu fühlen. Ich möchte mich noch ein bisschen scheiße fühlen dürfen. Und ich will nicht, dass mir jemand abspricht, mich so zu fühlen, wenn es nun mal so ist. Ich sehe das nicht unironisch:
„deine Zukunft ist so ungewiss,
Dein Leben voller Angst und Schiss, du fängst erst gar nichts an,
Denn es ist so gemütlich und sicher,
Auf deiner Insel voller Leid, jaja…“
Ich fühle mich in solchen Situationen des Leidsuhlens immer direkt 2011 gebackflasht. Damals half Gisbert zu Knyphausen auch, in den Spiegel zu schauen. Ich erinnere mich: Es war mal alles sehr scheiße. Sehr, sehr schlimm, aus vielen Gründen, an denen tatsächlich das Patriarchat schuld war. Irgendwann wurde es besser. Eine seingelassene Anzeige, ein Stadtwechsel, eine Flucht, eine Depression, noch eine Depression und ein neuer Freundeskreis später und ich stelle fest:
Ich mein, das Leben ist nicht einfach,
doch ein bisschen was geht immer
Ich versumpf jetzt nicht mehr in meinem Zimmer. Ich warte einfach ab und zitiere nostalgisch Popsongs der letzten Indietanzabende der beginnenden 10er Jahre – offenbar bin ich sogar zu faul, mich musikalisch weiterzuentwickeln. Aber well, ist nicht mein Job und eh, meine Haltung entspricht dem Prinzip des „Handelns durch Nichthandeln“:
„Ein gesunder Projektdarwinismus sorgt dafür, dass niemand sämtliche Ideen umsetzen muss, die ihm so durch den Kopf schießen. Nur diejenigen, die sich hartnäckig immer wieder melden, verdienen, dass man Zeit und Energie in ihre Umsetzung investiert.
Kathrin Passig/Sascha Lobo in „Dinge geregelt kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin“
Überraschen oft passiert gar nichts Grässliches, wenn man seine Aufgaben schlicht ignoriert.“
Vielleicht habe ich mich deshalb dann doch bei einem Mama-Entspannungskurs angemeldet
Der AOK-Gutschein kam gerade noch rechtzeitig, obwohl ich fast vergesse hätte, ihn zu beantragen. Das heißt: es muss mir ja wirklich wichtig sein. Nicht das „am Mindset arbeiten“. Sondern: es mal gut sein lassen und abschalten. Deswegen auch „nur“ Autogenes Training – wissenschaftlich abgesegnet und von Krankenkassen als Stressreduzierungskurs offiziell anerkannt. Ohne ideologische Unterfütterung, ohne übertriebene Erwartungshaltung an irgendwelche Wunder und in kleiner Runde mit netten Frauen. Und wisst ihr was? Mir geht es tatsächlich schon etwas besser.
Vielleicht aber auch, weil das Baby so schön und wild strampelt.