Mein Körper ist ein einziges Augenrollen. Noch einmal „Mama“, noch einmal am Ärmel zupfen, den Schoß hochklettern, am Hosenbeinen hochziehen und ich platze. Wie kann ein einziges Kind so laut sein? „Komm! Hier runter!“ – und ich lasse mich aufs Meditationskissen krachen. Der Bauch ist im Weg in der tiefen Hocke. Ich mag das nicht. Marcus geht Brötchen holen, der Junge will mit. Ein bisschen hoffe ich darauf, dass sie den Bäcker nehmen, der weiter weg ist. Aber sie gehen nur zum Bäcker gegenüber. Mein Kaffee ist sowieso schon kalt. Ich lese ein paar Zeilen, kann mich nicht darauf einlassen und schon sind sie wieder da.
Beginnen, den Frühstückstisch zu decken, es ist laut. Etwas fällt zu Boden, es klappert, noch bevor Messer und Tassen gedeckt sind, hat der Junge sein Croissant aufgegessen und will: „Mehr!!“ Ich kann nicht mehr. Kaum sitze ich am Tisch, will er auf meinen Schoß.
Ich starre mein Brötchen an und weiß nicht, ob ich essen soll
Aber essen wäre die perfekte Ausrede! Essen heißt, ich habe ein Argument! Ich kann sagen: „Ich esse jetzt und schmiere mir mein Brötchen. Dazu brauche ich beide Hände und ich will dich dann nicht auf dem Schoß haben.“ Zieht nicht. Marcus springt ein, sie essen ein Ei und ich gehe lieber aufs Klo, ich gehe pinkeln, ganz lange pinkeln und ein bisschen, ganz kurz nur, heulen. Es ist so ungerecht von mir: Der Junge hat hervorragend gute Laune! Er ist ganz lustig drauf und macht kleine Witze. Den ganzen Morgen schon:
Meine Hand steckt in der Schneckenpuppe, die plötzlich nicht mehr weiß, wie man kackt
Das Töpfchen wird zum Hut und der Junge fährt auf einem Bus Skateboard. Alles wie immer. Mir ist zum Schreien, zum Weglaufen. Alles wie immer, aber warum ist meine Haut so dünn? Meine Haare tun weh. Ich sage zu Marcus: Ich glaube, es ist gut, wenn der Junge mit Elementen spielt, das scheint ihn zu beruhigen. Marcus so: Feuer? Ich so, nee, Wasser. Und Erde. Oder sollte ich mit Elementen spielen? Plötzlich verstehe ich meine Mutter, die immer ihre fünf Minuten Zigarettenpause auf dem Balkon brauchte. Sie saß dann da, alleine, nur sie, ihre Kippe und ein Buch. Muss das nervig gewesen sein, als ihre Töchter nach und nach anfingen, sie um Zigaretten anzuschnorren.
Marcus macht seine Runde Badezimmer und ich sage zum Jungen, wenn er auf den Balkon wolle, brauche er Gummistiefel, Matschhose und Jacke. Er verschwindet im Flur, kommt wieder: Gummistiefel an, Helm auf und Jacke in der Hand. Ich helfe mit der Jacke und jetzt soll ich die Gießkannen füllen. Marcus kommt, übernimmt, ich sitze schlapp auf dem Küchenstuhl neben der Balkontür und denke, ich will hier weg. Ich will einfach nur alleine sein. Ich denke: Eine Woche Urlaub wäre gut.
Alleine in einer fremden Stadt, so wie früher
Statt meine Sachen gedanklich zu packen, atme ich zum Herzen hin und vom Herzen weg, ich konzentriere mich. Klappt nicht. Ich lutsche ein Bachblütenbonbon, vielleicht verschwindet dann der Kloß im Hals. Es rappelt, und klappert und scheppert. Alles so laut, warum nur so laut. Ich balle meine Fäuste, lasse locker und spüre in die Entspannung, ich spanne meinen Kiefer an und lasse locker. Hilft nicht.
Dann beginnt das kleine Kind auf dem Balkon Dinge zu gießen. Marcus fragt: Gibt es da was, wo er drauf klettern kann? Wir hören es scheppern, ich sage: Guck nicht hin, er weint ja nicht. Der Junge gießt einfach nur Dinge. Ich bin so verspannt, jammere ich. Marcus steht vor mir und beginnt, meine Schultern zu massieren. Ich will hier nicht weg. Er findet einen Triggerpunkt und es zieht in meine linke Hand und in den Kiefer. Der Punkt fühlt sich an, wie ein Knochen. Zwischendurch will das kleine Kind „mehr Wasser, bitte.“ Marcus füllt auf, massiert weiter. Ich werde weicher. Ich will gar nicht weg.
Ich denke: Mir geht es nicht darum, alleine zu sein. Es geht mir um Zuwendung. Ich bin nicht fremdgesteuert, ich gebe freiwillig und gerne. Ich weiß nur nicht, was ich mir selbst gern nehmen möchte. Einsamkeit, Zweisamkeit, ein Eis? Und oft kommt die Erkenntnis zu spät. Oft platze ich plötzlich und ohne Ankündigung, auch überraschend für mich. Oft schäme ich mich dann.
Heute nicht.
Nach der Massage ging ich trotzdem alleine ins Schlafzimmer. Ein paar Zeilen alleine sein.
Erfrischend ehrlich. ❤️