Neulich hatte ich über das seltsame Zusammenspiel von Immobilienneid und der Tatsache, dass wir ein Eigenheim eigentlich garnicht erstrebenswert finden geschrieben. Ich fragte mich, wieso mich das so zwiespaltet. Long story short: Ich neige bei diffuser Unzufriedenheit dazu, Projektionsflächen großzügig zu bespielen und diesmal musste unsere hässliche Wohnung ein bisschen daran glauben. Am Ende fand ich aber, dass Marcus auch mal was dazu sagen könnte. Also habe ich ihn gefragt und er hat mir seine Meinung aufgeschrieben und Abschnittsweise geantwortet.
Here we go:
Also: Zur Überschrift: Nein.
Zum 1. Abschnitt:
[Das bezieht sich noch auf die erste Fassung Deines Artikels, die Du mir schon geschickt hattest, obwohl noch nicht ganz fertig, und auf die ich schon anfing zu antworten. Aus irgendeinem Grund hast Du Folgendes wieder gestrichen, was Dir wohl doch zu privat war, mir aber sehr gut gefällt, weil es mir Deinen Schmerz zeigte (der sich auch 2021 nicht zu blöd ist, sich auf „Herz“ zu reimen): „Ich fühle mich von mir selbst blockiert und weiß nicht, wie ich mich von mir selbst lösen sollte ohne mich von mir ablösen zu wollen. Ich will mich nicht von mir ablösen, ich will etwas aus mir herauslösen und ganz sicher nicht mein Herz“ Und das kommentierst Du mit „(das Wort ‚Herz‘ hat mir wieder das Pathos meiner albernen Serie ins Hirn gepflanzt)“]:
Ich muss dich dann doch noch gestört haben, denn der Verräter wurde des Landes verwiesen. Hinaus, in den Park, im Wald zu spazieren! Das schien dir nicht schnell genug gehen zu können. Ich war dran mit Säuglinghüten, ich stand im Flur, hatte ihn schon in der Trage, doch er war noch nicht fertig mit Schreien. „Warum gehst du nicht raus?!“, kam es genervt aus dem Wohnzimmer, das Ausrufezeichen dabei größer als das Fragezeichen. Ja, und in solchen Momenten vergesse ich, wofür das alles Symptom ist. Das, wofür es Symptom ist, sehe ich dann erst wieder in Momenten, in denen ich Zeit habe (und die Ausgeschlafenheit, haha), meine eigenen Gekränktheiten beiseitezuschieben. Bis dahin sind wir beide angepisst.
Was diese Wut erzeugte, Wut oder Springflut, zeigst du mir nun in deinem ersten Abschnitt, das innere Beben, und das erfahre ich in Momenten wie unserem Gespräch heute Mittag, als sich alles ausgewogt hatte, die See wieder geglättet, das Wasser wieder abfließen durfte (kommt man noch mit in meiner Metapher?: ich meine Deine Tränen) und ich so Zugang zu allem bekam.
Zum 2. Abschnitt:
[Und schon wieder gestrichen! Du redetest davon, wie Du jetzt eigentlich in der Stimmung wärst, mal wieder ein Buch zu lesen: „ (und zwar keine Ratgeber, was ich ständig tue, sondern richtig lesen). Warum tue ich es nicht? Weil es tausend andere Dinge gibt, die ich auch gern tun möchte, solange man mich lässt (das letzte Eis aus dem Kühlfach aufessen mit Pfirsich und Erdbeeren zum Beispiel). Na klar, es ist die alte Leier von all den Dingen, die die moderne Mutter (und sicher auch alle total unmodernen Mütter, die von früher und die aus Vorzeiten) nicht haben kann (Zeit, allen Dingen voran). Es hilft nichts, es ist so.“]:
Diese Situation kenne ich. Da steht man plötzlich in der unerwartet stillen Wohnung und weiß nicht, wohin (zuerst) mit sich. Nenn es self-care oder Achtsamkeit, ich nenne es: Mal wieder aus dem Fenster starren, wichsen, ein schwieriges Buch lesen. Die Hände frei, den Kopf einigermaßen festgeschraubt, Gedanken nicht im Zickzack. Jetzt nur nicht zu müde werden! Kaffee usw.
Es geht auch dem modernen Vater so, dachte ich spontan. Was allerdings womöglich, nein mit Sicherheit, anmaßend ist, denn ganz unwillkürlich scheint mir immer, dass wir die Kinderzeit gerecht aufteilen. Aber das stimmt natürlich nicht, ich weiß das ja, der Kleine hängt an dir Tag und Nacht, wie er an mir nie dran hängt, besonders nachts, re: Busen. Und der Große hängt, wenn er an dir hängt, auch gnadenloser als bei mir. Immer noch spricht er mit deinen Brüsten.
Zum 2. Abschnitt (so, wie er jetzt da steht):
Ist Momshaming mit Slutshaming verwandt?, frage ich mich. Ich kenn mich weder in dem einen noch in dem andern gut aus, von geslutshameten Herren weiß ich jedenfalls nichts. Ich hoffe, ich werde nicht gedadshamet … Das heißt, einen kurzen Moment lang hatte ich so einen Moment, in dem ich mich so fühlte, ein kleiner, unerwartet tiefer Stich, als ich unserm großen Sohn (wenigstens hatte er ein Kleid an und trug lila Nagellack), das Pixibuch vorlas, das er sich im Laden selber ausgesucht hatte, wieder irgendwas mit Baggern und Baustellen („Entdecke die Baustelle“ von Laura Leintz und Dirk Hennig, erschienen im Carlsen Verlag), und am Ende, das Haus ist fertiggebaut – die Mutti tritt aus dem frisch gewienerten Eigenheim, bringt Limo und Kuchen in den Garten, Vati hat die Hosenbeine hochgekrämpelt und sägt Holz fürs Baumhaus, während Sohnemann die Baustelle mit Signalband sichert – wird die vierte Wand eingerissen (sorry für die verwirrende Metapher, notsorry), ich meine die/der Erzähler*in fragt den Vorgelesen-Bekommenden, über mich als müdes Medium: „Hast du zusammen mit deinen Eltern auch schon einmal etwas Tolles gebaut? Erzähl mal!“
Zum 3. und 4. Abschnitt: Wenn ich „Garten“ denke, denke ich „Rasenmähen“.
Was hab ich Rasen gemäht in meiner Kindheit und frühen Adoleszenz! Und dann später im Zivildienst (Friedhof). Und weiterhin zu Hause, die ganze nicht endenwollende Spätadoleszenz hindurch bis Ende zwanzig, denn ich war ja Spätausziehender – entweder Rasenmähen oder das schlechte Gewissen, den Rasen immer noch nicht gemäht zu haben. Und dürfte ich den dann, in unserem Garten einfach sprießen lassen? Nein!, näselt da die Heuschnupfen-Miriam.
Außerdem haben wir nicht nur die Gärten Befreundeter und Verwandter, wir leben auch zwischen zwei Parks. Wenn wir hinausgehen, brauchen wir nur kurz überlegen, nach links oder nach rechts, zum Volks- oder zum Clarapark. Klar, da lümmelt immer auch anderes Volk herum, wir hätten vielleicht mal ganz gern unsere Ruhe, und abends mal eben kurz nur da sitzen, Babyfon am Gartentisch, Radler trinkend nur in Unterhose, Beine hoch usw., wäre schön, aber – worauf wollte ich hinaus? Ja, klar, schade, aber nicht so schlimm, sage ich. Wie schön war letztens das Grillen im Hof mit unserer Nachbarin und ihrem kleinen Sohn. Und wie malerisch hast du zu Ostern das Eierfinden im Bärlauch des Volksparks inszenieren können! Und hatten wir nicht auch schon nice gepicknickt mit Blick auf See und Enten (ohne Klo und von Mücken gepiesackt!, hüstelt mir mein dialektischer Eifer ins Ohr)? Wald gibt’s auch. Jedenfalls: Abwechslung.
Zum 5., 6., 7. Abschnitt: Zu unserer Wohnung:
Also ich kobel[1] mich ganz gern hier ein. Dass ich das gerner tu als du, mein Schubiduh, mag daran liegen, dass ich hier umgeben bin von Wänden voller Bücher, die ich mir in jahrelangem Eifer zusammengesammelt hab, einen Vorrat für bis in meinen Lebenswinter hinein, und ich, wenn den mein Blick entlangschweift, egal an welchem Tag nicht mehr verloren bin; und dass meine Ansprüche an Türen sich damit begnügen, dass sie zugehen können mögen, nicht zu sehr zu quietschen dabei und man getrost auch mal ein Kind dagegen hämmern lassen kann, denn: kosten ja nur 29 Euro. Sind sie hässlich und sehe ich das? Aber ja, wie die Nacht, wie man sagt.
Und das Laminat ist nicht nur hässlich, es gibt auch bei jedem Schritt nach. Direkt vor der Küche, da ist so eine unsichtbare Kuhle drunter, dass man vermuten könnte, da wohnen sie: die Ratten.
Zum 8. Abschnitt: Aber nein, werte Leserin, zum Rattenthema:
Die Ratten sind nicht in unserer Wohnung und auch nicht darunter, unterm vermuteten, vom Laminat versteckten schadhaften Holzfußboden! Ist doch schon mal gut. Und man riecht sie auch nur, wenn man zur Haustür hereinkommt oder hinaustritt (nur wenn man schwanger ist auch schon, wenn man die feine Nase aus der Wohnungstür reckt) oder in den Keller geht. Und wer braucht schon einen Keller? Ja okay, den bräuchten wir eigentlich, denn in der Abstellkammer in der halben Treppe waren sie auch schon und haben uns in den Weihnachtsbaumschmuck gekackt. Ja, gut, die Ratten sind ein bisschen ein Problem, ich geb’s zu.
Der Schimmel? Klar, da brauchmer gar ned drübber redde, ist böse. Betrifft ja auch die Bücher. Winters der Mief im Schlafzimmer, und die unterste Reihe des einen Bücherregals ist nur noch sehr luftig bestückbar, sonst frisst er sich durch die Seiten der Franzosen, bis in ihre Rücken, bis sie graue Pelze schmücken … Lüften hat doch aber geholfen, und wir haben diese Klumpen, diese Salzsteine, die die Luft austrocknen, in den Zimmerecken stehen.
Wie viel zahlen wir warm? Genau. Und das ist immer noch das Hauptwohlfühlargument für diese Wohnung, die außerdem, wie erwähnt, sehr nette Nachbarn hat, Blick auf grüne Bäume bietet, wenn sie grün sind (wenn Schnee drauf liegt, ist auch schön; nur an einer Handvoll Monate eben nicht so), und einen cozy Balkon an Sommermorgen (Plural), an denen wir uns auf dessen Boden lümmelnd (Miriam hat eine ganz hervorragende dicke, auf- und zusammenklappbare Matratze gekauft, die uns jede balkonmöbelbedingte Kleinkindkletterangst erspart und sehr gemütlich ist und auch noch optisch delikat) um unser süßes Sonntagsfrühstück scharen können.
Zum 8. Abschnitt, immer noch: Eher ganz allgemein Load, mit und ohne Mental, das komplette Programm, ich weiß. Keine weiteren Kommentare.
Und das Patriarchat macht mir bloß ein noch schlechteres Gewissen, siehe oben, Baumhaus usw. Und dann hat man also schon alle diese Männervorteile in dieser Männerwelt und ist auch noch zu blöd, sie zum eigenen Vorteil, einem geregelten Einkommen, zur Sicherung der eigenen Rente, einem Stipendium in der Villa Massimo oder dem Kauf neuer Schuhe zu nutzen.
Zum 9. Abschnitt: Meine ganze Kindheit über und darüber hinaus hat mein Vater unser Haus ausgebaut.
Dafür sind wir nie in den Urlaub gefahren, waren mein Bruder und ich sauer auf ihn, wenn wir ihm als Handlanger helfen sollten, ist er dann früh an Krebs gestorben, meine Mutter vor zwei Jahren auch, das Haus verfällt und lässt sich nicht verkaufen, weil alles mit den billigsten Mitteln selbstgebaut wurde und niemand dorthin ziehen will, ich schon gar nicht, und nun sitzt sein jüngster Sohn (ich) undankbar mit Ende dreißig an seinem Schreibtisch in der Großstadt und schreibt lästerlich über seine Eltern, die alles dafür getan haben, dass es ihm einmal besser geht als ihnen.
Zum 10. Abschnitt: Und auf einem Friedwald gäbe es am Ende auch für alle Plazenten wieder genug Bäume …
Okay, ich erspar mir das mit den Absätzen, mir fällt nicht zu jedem was ein, und ich habe das seltene Glück, mich um einen Lektoratsauftrag kümmern zu müssen, d. h. wir beide haben Aufträge, und heute war der Große auch noch erkältet, wieder ein Arbeitstag weg, ich will ins Bett, denn es ist Mitternacht. Also: Keine Zeit für diesen unbezahlten Text, mein Liebchen.
Nun, was will ich Dir für uns als Fazit hinterlassen? Dieses hier vielleicht: Am Ende suchen unsere Kinder es sich aus, wofür sie uns dann später mal ein bisschen hassen werden: schlechte Großstadtluft, kein Platz für Spielzeug und eigene Gedanken, die schlechte Nachbarschaft oder die ländliche Einöde, Zwei-Stunden-Busfahrten bis zur Schule, Nazinachbarn usw. Aber mit ein bisschen Glück, wenn wir ihnen immer gut erklären, warum wir uns wofür entscheiden und ihnen beibringen, wie man herausfindet, was man will im Leben, können sie uns trotzdem leiden. Kann ja nicht so schwer sein.
[1] Seitdem uns im Volkspark mal eine Frau darüber aufgeklärt hat, dass das Nest vom Eichhörnchen Kobel heißt, ist das Wort in unser aller Familienwortschatz eingegangen, und wir haben sogar ein Verb daraus gemacht.