Mit unserer Art der Selbstfürsorge sind wir Vorbilder für unsere Kinder. Oh Schreck. Es ist nicht so, dass ich die schlauesten Coping-Strategien entwickelt habe im Laufe meines bisherigen Lebens. Aber immerhin habe ich aufgehört zu rauchen.
Mit der Geburt des ersten Kindes verändert sich alles. In den ersten Wochen, manchmal Monaten wollen es manche gar nicht wahrhaben (insbesondere bei einem der sogenannten „Anfängerbabys“) und behaupten stur, es sei möglich sein „altes“ Leben einfach weiterzuleben. Klar ist das möglich, Party mit Baby. Wir haben unseren 6 Monate alten Sohn auch mit auf die Book-Release-Lesung mit anschließender Party einer Freundin genommen – Kein Ding! (Und ich erinnere mich sehr gut, wie ich im Flur vor den Toiletten stehe und meine Kniebeugen jedes Mal tiefer wurden, sobald SCHON WIEDER Applaus erklang – Wie können die es wagen ständig zu klatschen? Himmel! Voll entspannt, die Aktion, haben wir deswegen auch nie wieder gemacht).
Das Leben ändert sich natürlich
Und früher oder später holt es alle ein: das neue Leben mit Kind. Neue Verantwortung, anderer Schlafrhythmus (welcher Rhythmus?), neue Essenszeiten. Und die plötzliche Vergegenwärtigung, dass wir an einem einzigen Tag ziemlich viele Dinge planen, organisieren und auf To-Do-Listen schreiben, von denen wir leider nur einen Bruchteil wieder streichen. Dazu kommt der Anspruch, es zumindest ein bisschen besser zu machen, als die eigenen Eltern. Bedürfnisorientierter zum Beispiel. Oder mindestens nicht schreien lassen. Ganz logisch, dass einen das überfordern kann. Das Leben überfordert viele von uns ja bereits ohne Kinder. Und alle streben wir doch irgendwie nach Glück, oder?
Gefundenes Fressen für die Coaching-Szene
„Du bist wichtig!“, „Du bist genug!“ Mantras wie diese überfluten die Sozialen Medien. Selbstfürsorge und Selbstakzeptanz sind wichtig, keine Frage. Wichtige Bausteine auf dem Weg zu einer gestärkten Resilienz, sicherlich. Aber dann lese ich hin und wieder Sätze im selben Atemzug und groben Inhalt von „Sei deines eigenen Glückes Schmied“, gepaart mit der Keule: „Du hast immerhin eine Vorbildfunktion.“ Hui. No pressure, oder wie war das drei Sätze zuvor noch? Ein ungutes Gefühl beschleicht mich beim Lesen solcher Aussagen.
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Als ich über das Thema kürzlich in einem Blog las, hatte ich augenblicklich ein schlechtes Gewissen. Ich bin nur phasenweise gut darin, mich zu berappeln und auf gesellschaftlich anerkannt gesunde aka instagrammable Weise für mich und mein Lebensglück zu sorgen. Es ist rein finanziell auch gar nicht drin, dieses oder jenes Hobby intensiv zu pflegen. Aber Selbstfürsorge muss ja nichts kosten, heißt es. Und Selbstfürsorge kann ja auch heißen, einfach mal ein heißes Bad zu nehmen oder etwas ganz anderes zu tun, was einem wichtig ist.
Stimmt schon, aber Aussagen wie „das Glück eigenverantwortlich in die Hand nehmen“ sind nicht mit Selbstfürsorge gleichzusetzen. Die Fähigkeit, Selbstfürsorge zu leisten hängt von mehr Dingen ab, als „sich einfach mal zusammenzureißen.“ Es hängt meiner Ansicht hingegen sehr wohl von Umständen und oft auch von anderen Menschen ab, wie gut es einem gelingt, die eigene Resilienz zu stärken.
Daher auch das schlechte Gefühl
Wieso habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn mir jemand sagt, ich solle doch endlich mein Glück selbst in die Hand nehmen? Ja, das ist Glückseligkeits-Ratgeber-Rhetorik par excellence. Vor allem der häufige Hinweis darauf, das Argument „die Umstände hindern mich daran“ gelte nicht. Das ist blanker Hohn und ignoriert jede weniger privilegierte Situation, negiert sie, silencet sie. Aber diese Rhetorik ist so häufig, dass ich es nicht ignorieren und für mich aussortieren kann. Das scheinen aber einige der sogenannten „Life-Coaches“ zu ignorieren, selbst wenn sie sich gerade auf die „Mamas“ spezialisiert haben.
Und so lese ich solche Zeilen und denke: Erwischt! Ich gehe nicht joggen, ich mache kein Yoga, ich meditiere nicht.
Ergo: Ich bin kein gutes Vorbild für mein Kind. Ich bin eine schlechte Mutter. Ok, nee doch nicht, denn im nächsten Satz gleich das obligatorische: „Du bist genug!“ Puh. Aber, Moment. Was denn nun? Ich bin ein schlechtes Vorbild, wenn ich es nicht schaffe, mein Glück selbst in die Hand zu nehmen, ungeachtet der Tatsache, dass ich den Umständen entsprechend es schwer habe in dieser Gesellschaft. Andererseits: Du musst natürlich nicht perfekt sein. ABER du musst dein Glück ownen. Denk an deine Kinder.
Mit dem schlechten Gewissen Geld machen ist einfach
Es mag hilfreich für einige Menschen sein, sich aus einer relativen Schieflage mit der Hilfe eines Coaches zu befreien. Ich hoffe dann nur immer, dass diese*r Coach auch eine ernstzunehmende Qualifizierung hat und sich nicht einfach selbst dazu ernannt hat. Life-Coach ist keine geschützte Berufsbezeichnung, jede*r kann sich so nennen. (Genauso wie übrigens „Berater”, beliebt auch „Change Manager“ but that’s a different creepy story). Und gefährlich wird das Ganze, wenn Coaches Pauschalisierungen für alle möglichen Menschengruppen verkünden. Aber genau das sehe ich doch immer wieder: Den Laura Malina Seiler-Move, aber – noch perfider – auf Mütter in Ausnahmesituationen abzielend.
Jetzt neu mit dem super Add-on: Wenn du das nicht tust, leiden deine Kinder darunter.
Bäm! Erwischt. Damit kriegen sie mich dann doch. Ich will nämlich auf keinen Fall ein schlechtes Vorbild sein für mein Kind, aber guess what: Ich glaube das wollen die wenigsten.
Wenn es einer Person nicht möglich ist, aus eigener Kraft glücklich zu werden, dann liegt das öfter als die Life-Coach-Szene das gerne hätte nicht an einem Mangel an Eigenverantwortung. Es liegt gegebenenfalls tatsächlich an den Umständen oder anderen Personen. Dann klingt es nach Hohn, wenn sie einem implizit vorwerfen, passiv auf einen Retter in der Not zu warten, anstatt selbst aktiv zu werden.
Sag das mal einer alleinerziehenden Person mit Depressionen und einem be_hinderten Kind
Schlimmerenfalls noch mit Migrationshintergrund. Es ist einfach, in einer neoliberalen Gesellschaft die Verantwortung aufs Individuum abzuwälzen. Denn dann hat der Trend der Positiven Psychologie genau das geschafft, was sich die Politik von ihr erhoffen kann: Effektiv von den Missständen in der Gesellschaft ablenken und diese nicht messbare Größe „Glück“ ins Private zu verlegen.
Ich weiß (und auch aus Erfahrung), es ist schwer einen Therapieplatz zu bekommen. Ich weiß, dass Anwärter*innen für das Beamtentum sich keine Therapie im Lebenslauf leisten dürfen (Schweinerei btw). Und daher ist die Verzweiflung oft groß genug, um sein Lebensglück von einem möglicherweise sehr schlecht ausgebildeten Scharlatan anzuvertrauen.
Ich will damit nicht sagen, dass es sinnlos ist, auf sich selbst acht zu geben.
Ich finde es sehr wichtig das zu tun, es ist manchmal leichter, manchmal schwer. Und sicher gibt es auch gute Coaches. Ich will damit aber sagen: Lass dich nicht in die Irre führen. Wenn dein Partner ein Arschloch ist, dann musst nicht du dich ändern. Und wenn deine Situation beschissen ist, weil sich die Politik einen feuchten Kehricht um die Situation von pflegenden Angehörigen kümmert, dann ist es absolut berechtigt, Briefe an Abgeordnete zu schreiben, auf Demos zu gehen und Insta-Aktivismus zu betreiben, anstatt zu meditieren. Was auch immer es ist – wenn es dir wirklich schlecht geht, dann ist ein*e echte Therapeut*in die bessere Wahl als ein überteuerter Online-Kurs mit Kalendersprüchen. Es mag länger dauern. Aber die Krankenkasse bezahlt es.
Gut geschrieben und wahr. Ich frage mich immer wieder woher kommt der Druck den man sich macht und ging es den Frauen früher auch so? Sind es zu hohe Ansprüche oder der Drang danach mit anderen mithalten zu wollen, die aber wieder andere Defizite haben, die wir nicht sehen.
Lieben Gruß
Ich kann mir vorstellen, dass Frauen und Mütter schon immer in irgendeiner Weise gearteten Druck verspürt haben. Ein schönes Beispiel aus „Kleiner Mann was nun“ von Hans Fallada (kam raus im Jahr 1932): Das sehr junge und frisch verheiratete Paar Johannes Pinneberg und seine Frau Emma haben gerade ein Kind bekommen. Die ersten Wochen sind hart, sie haben kein Geld, eine winzige Wohnung und das schreiende Baby in der Wiege. Obwohl Emma es im Herzen weh tut und es ihr ganz „widernatürlich“ vorkommt, lässt sie es schreien. Pinneberg selbst will es hochnehmen, aber sie hält ihn davon ab. Sie habe in einem Buch gelesen, nur so hören sie auf zu schreien und nur dann werden sie zu starken Erwachsenen (so in dem Sinne, ich finde gerade die Stelle nicht zum zitieren). Aber dem Thema ist eine recht lange Passage gewidmet, was deutlich macht, wie sehr das Ganze schmerzt – und warum sie sich trotzdem für das Schreien entscheiden. Das ist denke ich ein gutes Beispiel, wie Druck entsteht: Die gesamte soziale Situation, der Zeitgeist und was man denkt, was „richtig“ ist und was sich dennoch seltsam falsch anfühlen kann. Solange wir eben in irgendeiner Kultur eingebunden sind, was automatisch der Fall ist, kommt es wohl auf die eigene Persönlichkeit und Widerstandsfähigkeit an, wie sehr man sich davon vereinnahmen lässt.
Ist es nicht genau das „sein Glück in die Hand nehmen“ und den Arschloch-Partner verlassen, einen Protest-Brief schreiben und auf Insta teilen, dass alles scheisse ist? Ob Frau danach dann meditiert oder einen Gin-Tonic trinkt ist doch völlig nebensächlich.
Wer eine psychische Erkrankung hat, gehört in Behandlung und nicht zu einem Coach.