Seit dem Wochenende ist klar: Das Kind darf wieder zum Tagespapa. Wir gewöhnen also wieder ein. Woran gewöhnen wir uns eigentlich?
Unser Tagesvater ist einer von den sanften. Bereits die erste Eingewöhnung verlief langsam und sehr bedürfnisorientiert. Er geht nach dem Münchner Modell vor und pausiert auch mal, wenn er merkt, dass ein Kind seine Aufmerksamkeit gerade dringender benötigt. Ich finde das gut. Es lehrt mich auch selbst darin, geduldiger zu sein. Gerade jetzt, wo es uns allen nicht schnell genug gehen kann, dass sich wieder Normalität einstellt.
Aber welche Normalität?
Wir haben uns darauf geeinigt von „neuer Normalität“ zu sprechen. „All die neuen Rituale“, sagte der Tagespapa dazu, „das müssen wir jetzt lernen zu verinnerlichen.“ Das trifft auch auf unseren Alltag zuhause zu. Den neuen neuen Alltag. Dabei haben wir uns gerade so an den neuen Alltag nach dem alten Alltag gewöhnt. Wir waren so fest drin in unserem Rhythmus, dass es in mir gemischte Gefühle hervorrief, als wir das Go vom Tagespapa erhielten. Klar, mehr Zeit für Arbeit, Weiterbildung, Projekte. Aber auch: Weniger Zeit zu lernen, was mein Kind mir sagen will.
Wie schön das eigentlich war, den gesamten Tag mitzuerleben, wie sich der Wortschatz vergrößerte. Wir leiteten uns ganz nebenbei her, was der Sohn wie bezeichnete. Wir stellten innerlich Regeln auf: aha, ein bis zwei Silben, meist die letzten beiden eines Wortes. Vokale meistens vertauscht. Wenn aber die visuelle Herleitung fehlt – großes Rätselraten.
Wie anstrengend das auch war, den gesamten Tag mitzuerleben, wie viel es in diesem kleinen Gehirn arbeitet. Ein fast hörbares Rattern war das, eines, das ohne Pause um unsere Aufmerksamkeit buhlte. Ein Gedanke, der abschweift und ein Blick aufs Handy – Zack! Wage es ja nicht! „Weg!“, rief das Kind dann und zerrte am Handy. Ich versteh dich ja, dachte ich dann. Aber ich kann grad nicht mehr. Zu viele Gedanken an zu viele Unsicherheiten gerade. Und wer geht heute einkaufen?
Jetzt also „Normalität“
In Anführungszeichen, kann ich so stehen lassen. Irgendwann schauen wir zurück und sagen: Das war sie, die Zäsur in unserem System. Danach hat sich alles geändert und neu gefügt. Plötzlich war allen (allen!) klar, wer dieses System trägt, worauf es fußt: Auf denjenigen, die alles wuppen (ein Begriff, den ich nur in Zusammenhang mit Frauen kenne, interessant. Oder hat schon mal jemand gesagt: „Toll Stefan, wie du die Doppelbelastung Heimwerkstatt und Vollzeit in der IT wuppst!“? Nein, oder? Wuppen it is).
Die Systemrelevanz ist weiblich
Eine Chance für den Feminismus, sagt die eine. Rückwärtspurzelbaum nennen das die anderen. Bundesliga, Bundeliga grölen andere. Und: Kaufprämien auch für Diesel schreien welche mit viel Geld und Prestige und Lobby.
Die Kräfte, um gegen dieses System aufzubegehren, müssen wir wirklich erst wieder sammeln, liebe Margarete. Hoffe, das dauert nicht zu lange. Ich glaub, ich hab noch ein bisschen Resilienz übrig.
An die neue Langsamkeit muss ich mich gewöhnen
Langsame Wiedereingewöhnung nach langsamer Gewöhnung an die Ausnahmesituation und jetzt ratzfatz neuer Alltag. Bin ich eigentlich blöd, dass mir das zu schnell geht und mir doch zu langsam ist?
Und überhaupt gar nicht erst anzufangen, was mir noch alles zu langsam geht!
Hi, wie alt ist denn dein Kind?
Wenn du dich so gern damit auseinandersetzt, was dein Kind dir sagen möchte, interessieren dich vielleicht Baby- und Kleinkindgebärden.
Viele Grüße
Ariane
Hallo, gute Idee, danke 🙂 Mein Sohn ist jetzt 19 Monate alt. Als er kleiner war, hatten wir ein paar Gebärden benutzt (für bestimmte Situationen beim Essen oder wenn es ans Wickeln ging). Dann hatte sich das irgendwie ausgeschlichen. Jetzt droppt er jeden Tag immer mehr Wörter, dass ich an die Möglichkeit gar nicht mehr gedacht habe.