„Die Dramaqueen unter den Schwangerschaften“ – So hatte eine Hebamme meinen Zustand bezeichnet. Nicht mir gegenüber, sondern einer fremden Frau, deren Geschichte ich nur aus Minimalausschnitten aus irgendeinem Forum kenne. Auf meinen nächtlichen Durchforstungen des Internets auf der Suche nach Leidensgenossinnen stoß ich auf diese Formulierung und sie passt. Neben all dem Schrecken, den die Diagnose bisher in mir verursacht hat, neben der Beruhigung, die mir durch Ärztinnen bisher wiederfahren ist, war das eine Formulierung, die mir ein winziges bisschen Humor darüberlegen konnte:
Plazenta Praevia Totalis
Es ist ein noch früher Zeitpunkt in meiner neuesten Schwangerschaft, meiner fünften, wie ich ein bisschen erschrocken aussprach bei der Anamnese. „Ihnen bleibt wohl nichts erspart“, sagte die Ärztin. Ich dachte: Ja. Voller Selbstmitleid. Ich dachte: Es gibt noch mehr, es gibt noch Schlimmeres, mir geht es noch ganz gut im Gegensatz zu … Aber das ist egal, jetzt. Aus meinem subjektiven Empfinden heraus ist es natürlich schlimm. Schlimmer kann sein, will ich nicht. Ich will auch nicht mein eigenes Pech relativieren, mir geht es gerade scheiße, Punkt.
Die Blutung mitten in der Nacht war stark
Ich dachte, es ist alles vorbei. Schon wieder. Aber: Das Blut war hellrot, es lief mir die Beine herunter und es war anders, vielleicht wie Nasenbluten. Ich habe oft Nasenbluten. Es war sicher weniger, als im Schockmoment wahrgenommen, aber es reichte für einen Schock und das reicht aus.
Marcus bekam das mit, mir ist, als wäre ich kurz ins Schlafzimmer gegangen, wahrscheinlich, um mein Handy zu holen. Er war völlig geschockt und kam zu mir ins Wohnzimmer, wo ich saß, auf dem Sofa. Ob ich mich wieder hinlegen wolle. Ich konnte nicht. Marcus nahm mich in den Arm, ich heulte. Ich heulte und jammerte: Ich will nicht, dass es wieder geht. Ich will, dass es bei uns bleibt. In der Art. Ich heulte ganz hemmungslos und Marcus sagte: Alles wird wieder gut. So wie ich es ihm gesagt habe, dass das zwar platt und hilflos ist, aber eine einfache Art, Anteilnahme zu zeigen, wenn man nicht weiß, was man sagen soll. Wenn man als Getröstete etwas hören will, was Eltern sagen würde, was Eltern einst sagten, in Situationen in denen klar war, dass alles wieder gut werden würde.
Aber dann kam nichts mehr. Ich hatte keine Schmerzen, keine körperlichen
In der Notaufnahme die Pflegerin und ein Praktikant: Er misst Fieber, sie trägt ein. „Das musst du nochmal messen, so niedrig kann die Temperatur gar nicht sein.“ Er misst und wieder: „Nee. Ist Ihnen kalt?“ an mich gerichtet. „Nein. Und ich bin auch kein Vampir.“ Ein kurzer, kleiner Blick über die Schulter, ihre Augen schmal über der Maske, ein Zwinkern, ganz klein. Wir verstehen uns, irgendwie. Sie ruppig, ich gerade nüchtern. Ich will nichts mit Pathos vor mir hertragen. Ich komme immer wieder zu mir. Contenance. Auch das wieder: mir fehlt das richtige Wort dazu.
Beim Ultraschall die Ärztin: „Ich verstehe Sie so gut, lassen Sie sich Zeit“, als es mich durchschüttelt, weil ich so heulen muss. Es zappelt! Es streckt sich! Es macht den Mund auf und zu! Das Herz schlägt. Und das Baby ist groß. Viel größer, als die Naegele-Rechnung vorhersagt, aber ich weiß ja das Konzeptionsdatum. Gut so, sagt die Ärztin, jetzt passen auch die Daten genau. Geburtstermin um 9 Tage nach vorne verschoben. Das ist jetzt wichtig. Das ist jetzt sehr wichtig. Wegen der akuten Verblutungsgefahr ist es wichtig, einen geeigneten Termin für den Kaiserschnitt zu finden. Zu früh ist schlecht, zu spät ist erst recht schlecht.
Ich bin jetzt in der 15. Woche. Das ist noch früh, ich denke: Vielleicht verwächst es sich noch, vielleicht kann ich doch auf natürlichem Wege gebären. Ich denke auch: Ob ich die Ärzt*innen darum bitten kann, bei einem Kaiserschnitt die Nabelschnur auspulsieren zu lassen?
Hauptsache wir leben
Und dann ganz fatalistisch: Mein Körper tötet Babys.
Marcus sagt: Nein, schau doch mal, wie schön der ist. Der Sohn. Der Körper. Was der kann. Der Sohn. Der Körper.
Blutabnahme, stationäre Aufnahme; wie ein Fenster über das unablässig der Regen herabrinnt, liegt mein Gesicht unter meinen. Ich bekomme den Schwermut aus Teenagerzeiten nicht aus dem Kopf, als ich mir das Paula Ludwig-Gedicht an meine Kinderzimmerwand schrieb.
Mir geht es jetzt gut. Mir fehlt nur die Zuversicht
Mein Papa hat immer gesagt: Vom Schlimmsten ausgehen und das Beste hoffen. Mit Zweiterem habe ich schon immer meine Probleme gehabt, phasenweise. Jetzt zwinge ich mich ein bisschen dazu: Es ist noch früh in der Schwangerschaft, vielleicht wandert die Plazenta noch ein bisschen. Und dann das Schlimmste: Es ist egal ob totalis, partialis oder marginalis, auf die Mortalität beim Fetus macht das keinen Unterschied. Es bleibt scheiße.
Am besten wäre, die Blutung käme doch nicht daher, sondern kam einfach so, weil unerklärliche Dinge entstehen im Prozess der Lebensentstehung. Und die Ärztin hat geschielt und die Plazenta liegt einfach nur an der Hinterwand, so wie meine Frauenärztin es vor zwei Wochen gesehen hat. Ich schone mich ein paar Wochen und dann wird alles gut. Ich gebäre Zuhause, so wie ich es mir gewünscht habe. Vielleicht sogar in der Wanne, wie ich es mir als Kind gewünscht habe. Ich bringe das Kind zur Welt, wir machen das gemeinsam, das Kind zeigt mir an, wann es kommen will. Niemand setzt einen Termin.
Aber es gibt ein Aber und das sagt: Das Kinderkriegen zeigt den Eltern schon sehr früh, dass ein Leben keine Schablone ist, die wir nur ausmalen. Was auch immer kommen mag, ich habe mich früh in kundige Hände begeben und ich mache das alles nicht allein. Das ist doch tröstlich. Eine Dramaqueen ist eine, die übertreibt. Ich hoffe sehr, dass sich meine Plazenta als eine Art Kader Loth entpuppt: Irgendwie tragisch, irgendwie drüber, irgendwie geht sie ihren Weg, irgendwie überlebt sie alles.
Props gehen raus an die Galeria Arschgeweih und das Internet im Allgemeinen, dass ich im Krankenhaus teilweise sehr vermisst habe und in das ich mich eingewickelt habe, wie in einen kuscheligen Mantel, als es dann endlich da war.